Der Landwirtschaftliche Kurs

Vor 100 Jahren

In Koberwitz wurden 1924 drei unterschiedliche Strömungen zusammengeführt - nicht ohne Hürden

Inmitten der ausgreifenden Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ereignete sich die Begründung der anthroposophischen Bewegung, zu der schließlich auch die landwirtschaftliche Erneuerung gehören sollte. Die Ereignisse, aus denen die biologisch-dynamische Bewegung hervorging, waren selbst so bewegt, wie das allgemeine Leben.

Und es war zunächst keineswegs sicher, dass das Vorhaben der landwirtschaftlichen Erneuerung auch gelingt.

Im Frühjahr 1920 waren Millionen Menschen infolge der Influenza-Pandemie gestorben und der 1. Weltkrieg mit seinen grundlegenden Veränderungen war gerade eben vorbei. Millionen Menschen hatten in den Kriegshandlungen ihr Leben verloren oder sind am Hunger verstorben, andere überlebten, an Leib, Seele und Geist verwundet. Die junge Weimarer Republik kämpfte gegen die - spätestens ab 1922 - galoppierende Hyperinflation und musste sich gegen die radikalen, teils gewaltbereiten, politischen Kräfte von Rechts und Links wehren. Streiks und soziale Unruhen waren an der Tagesordnung.


Erste Berührung und Austausch

In dieser brodelnden Situation trat Rudolf Steiner intensiv für die Soziale Dreigliederung ein und betraute Carl Graf von Keyserlingk, einen erfahrenen landwirtschaftlichen Unternehmer und Anthroposophen, mit der Verwaltung einiger landwirtschaftlicher Güter in Baden-Württemberg. Diese Güter gehörten zur „Der Kommende Tag"-Aktiengesellschaft, für die Rudolf Steiner sich nach dem Krieg und besonders in den Jahren 1919/20 im Sinne einer praktischen Umsetzung der Dreigliederung einsetzte. Keyserlingk und seine Frau Johanna waren Rudolf Steiner 1918 begegnet.

Während der Arbeit für den „Kommenden Tag" bemerkte Keyserlingk die hohe Sachkenntnis Rudolf Steiners in landwirtschaftlichen Fragen. So lag es nahe, daran zu denken, dass eine landwirtschaftliche Erneuerung aus dem Geist der Anthroposophie möglich sein könnte. Die enge, vertrauensvolle Verbindung Keyserlingks mit Rudolf Steiner bildete dann auch den Ausgangspunkt für das Entstehen der biologisch-dynamischen Bewegung und die Ereignisse von Koberwitz.


Rückblickend handelt es sich um drei markante Etappen, die 1920 begannen und über den Kurs in Koberwitz bis zu der Prägung der Bezeichnung „Biologisch-Dynamisch" im Jahr 1927, bzw. zur Eintragung der Marke „Demeter" im Jahr 1928 reichten.

Die drei „Quellgründe"

Nachdem Carl Keyserlingk vor allem die ökonomischen Verhältnisse im Blick hatte, wurden 1922 und 1923 aus zwei weiteren Richtungen die Fragen nach einer erneuerten Landwirtschaft an Rudolf Steiner gerichtet. Ernst Stegemann war die abnehmende Saatgut- und Ernährungsqualität ein besonderes Anliegen (ein ökologisches Anliegen), während u.a. Ehrenfried Pfeiffer und Guenther Wachsmuth besonders an spirituellen Fragen im Zusammenhang mit der Gesundheit und Krankheit bei Pflanzen und Tieren interessiert waren (diesen Themenbereich können wir als „ökosophisch" bezeichnen). Nun waren in den vier Jahren bis 1924 drei unterschiedliche Strömungen sichtbar geworden, die wir als „Quellgründe" der biologisch-dynamischen Landwirtschaft bezeichnen können. 1

Interessant ist überdies, dass bereits vor dem Landwirtschaftlichen Kurs in Koberwitz Menschen in verschiedenen Zusammenhängen an unterschiedlichen Fragestellungen arbeiteten. Joseph Werr (Tierarzt) und Eugen Kolisko entwickelten auf den Gütern des „Kommenden Tages" ein Heilmittel für die Maul- und Klauenseuche, die damals den Landwirten große Probleme bereitete. Ernst Stegemann verzichtete auf seinem Pachtbetrieb Marienstein bei Göttingen auf Kunstdünger, begann den Betrieb umzustellen und beschäftigte sich intensiv mit der Züchtung neuer Getreidearten aus Gräsern. Zu seinen Versuchen gehörte bereits 1923 auch die Herstellung von „Krafterde", als die er das Hornmistpräparat seinerzeit bezeichnete. Ehrenfried Pfeiffer und Guenther Wachsmuth forschten als junge Wissenschaftler am Goetheanum zu Ätherkräften
(Lebenskräften) und erhielten in diesem Kontext von Rudolf Steiner, der 1924 dem Ausgraben beiwohnte, ebenfalls die Angaben zur Herstellung des Hornmistpräparates.

Schicksalsfragen und freie Entscheidung

Den Hinweis auf die drei unterschiedlichen Strömungen, die nötig waren, damit der Landwirtschaftliche Kurs gehalten werden konnte, verdanken wir den Erinnerungen von Ehrenfried Pfeiffer.Tatsächlich war damals ein Dreistrom zutage getreten, der die biologisch-dynamische Bewegung bis heute prägt. Unterschiedliche Interessen treffen aufeinander und wollen miteinander verbunden sein. Das war und ist ein nicht immer friedliches Unterfangen. Aber gleichwohl erkennt man, wie bedeutsam es sein kann, wenn die Fragen der Ökonomie, der Ökologie und Ökosophie zusammengefasst bearbeitet werden. Dann erscheint im Landwirtschaftlichen die Trias der Sozialen Dreigliederung, insofern das Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben im betrieblichen Geschehen zusammenwirken.


Es ist nicht zu unterschätzen, dass es gelungen ist, in der Gründung der biologisch-dynamischen Bewegung den Dreistrom so unterschiedlicher
Interessen zusammenzuführen. Dafür bot sich in Koberwitz auf dem Keyserlingk' sehen Gut die entsprechende Hülle. So sagte Rudolf Steiner: ,, ... Ich glaube, wir könnten für diesen landwirtschaftlichen Kursus kaum irgendwo besser untergebracht sein als gerade inmitten einer so ausgezeichneten und so musterhaft betriebenen Landwirtschaft. Zu allem, was auf anthroposophischem Feld zutage tritt, gehört ja das, dass man auch sozusagen in der nötigen Empfindungsumgebung drinnen stecken kann. Und das wird für die Landwirtschaft ganz sicher hier der Fall sein können."3 Trotz alledem blieb spannend, ob das beabsichtigte Vorhaben auch gelingt.

Parallel zum Kurs wurde an der Gründung des „Versuchsringes" gearbeitet, der als erster Zusammenschluss der Landwirte die praktischen Arbeiten begleiten sollte. Das war offensichtlich kein einfaches Unterfangen. Nachdem der erste Vortrag am 7. Juni, der aus heutiger Sicht wie eine Ouvertüre für die gesamte Pfingsttagung 1924 erscheint, versammelten sich am folgenden Pfingstsonntagabend die Landwirte in Breslau, um sich zum Versuchsring zu besprechen. Wir können heute im Stenogramm der Sitzung und aus verschiedenen Schilderungen von Zeitzeugen entnehmen, dass Carl Graf von Keyserlingk und Ernst Stegemann an diesem Abend ernsthaft aneinandergerieten. Der Streit entzündete sich unter anderem daran, dass Stegemann die von Graf Keyserlingk geforderten „Zahlen, Daten, Fakten" zu seinen gemachten Versuchen nicht in der gewünschten Form beibringen konnte. Plötzlich stand alles auf dem Spiel, denn Keyserlingk war so aufgebracht, dass er ernsthaft erwog, das vorzeitige Ende der Tagung zu fordern. Rudolf Steiner war in dieser dramatischen Situation zwar anwesend, griff aber nicht ein. Die beteiligten Menschen sollten und mussten selbst eine Lösung finden. So dauerte es noch bis zum Morgen des 11.Juni 1924, dem Tag des dritten Vortrages, bis die Resolution schließlich verlesen und der Versuchsring gegründet werden konnte.


Für jede Gründung aus der Anthroposophie heraus war Rudolf Steiner auf Menschen angewiesen, die für den Anfang den jeweiligen Impuls in ihr Karma aufnehmen. Ohne sie ging es nicht. Für den Beginn aller „Tochterbewegungen" der Anthroposophie lassen sich solche Persönlichkeiten finden. Für die Heilpädagogik beispielsweise Albrecht Strohschein, für die Waldorfschulen Emil Molt und für die Landwirtschaft vor allem Carl Graf von Keyserlingk. Heutzutage können wir alle dieses Anliegen aufgreifen und
durch eigenen Entschluss weiterhin wirksam sein lassen.


Wir blicken heute zurück auf drei Generationen von Landwirten, Forschern und Menschen, die sich mit dem Landwirtschaftlichen Kurs verbunden haben und für die er Richtschnur ihres Handelns wurde. Nach 100 Jahren lässt die Kraft des „Urimpulses" allerdings merklich nach. Der Landwirtschaftliche Kurs muss nun, damit er seine Zukunftskraft für Mensch und Erde entfalten kann, von uns bewusst vertieft und erneut ergriffen werden. Tun wir das nicht, kann diese Zukunftskraft nicht zur Entfaltung kommen! Wir sollten 2024 darum kein Jubiläum begehen, sondern vielmehr nach 100 Jahren das „Neuergreifen" des Impulses der anthroposophisch
erneuerten Landwirtschaft feiern! 

 

Dieser Text erschien erstmal in der Lebendigen Erde 6-2023

Quellen: 

  1. ausführlich beschrieben in: Krause, Peter: „Anthroposophische Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft“, drei Bände, Frankfurt 2022 bis 2023
  2. "Wir erlebten Rudolf Steiner', Verlag Freies Geistesleben, 3. Auflage 1967, S.169 f.
  3. Steiner, Rudolf: „Landwirtschaftlicher Kurs“, Basel 2022, S.15 f.
Das ist ein Bild von Marcel Waldhausen ©

Marcel Waldhausen

Referent Mitgliederbetreuung für Nordrhein-Westfalen

Landesverband Demeter im Westen e.V.