Portrait von Martin von Mackensen, Leiter der Landbauschule Dottenfelderhof, Bad Vilbel

Martin von Mackensen


© Landbauschule Dottenfelderhof
Interview

Martin von Mackensen

Martin von Mackensen leitet die Landbauschule Dottenfelderhof in Bad Vilbel. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie er zu dieser Tätigkeit gekommen ist, welche Menschen ihn inspiriert und begleitet haben und was er jungen Menschen mit auf den Weg gibt.

Wie bist du zu Demeter beziehungsweise zu der biodynamischen Wirtschaftsweise gekommen?

Ich komme nicht aus der Landwirtschaft, hatte aber in der Jugend eine Beziehung zur Landwirtschaft im Hochgebirge, in den Ferien. Mit 14 oder 15 Jahren habe ich Joseph Beuys kennen gelernt. Ich war davon sehr fasziniert und es hat mich sehr geprägt. Während der vierjährigen Baumpflanzaktion im Rahmen der Documenta in Kassel hatte ich viele Kontakte und Gespräche mit Joseph Beuys. Ich dachte, ich sei ja bald fertig mit meiner Werkzeugmacher- und Maschinenschlosserlehre und würde mich jetzt einschreiben zum Studieren – es gab auch Projekte, die mit Metall zu tun hatten. Da kam von Beuys: „Das ist Quatsch, das Studium gibt es so eigentlich gar nicht, das hast du doch schon. Aber du hast doch was mit Landwirtschaft gehabt. Mach das, das ist viel wichtiger!“

Das hat mich erst einmal etwas enttäuscht und zurückgeworfen. Da ich aber in Kassel eine junge Betriebsgemeinschaft gut kannte und dort auch immer mal geholfen habe, war es nicht schwierig, diesen Schritt zu machen. Also habe ich direkt an dem Tag, als ich mit der Maschinenschlosser- und Werkzeugmacher-Lehre fertig war, meine landwirtschaftliche Lehre begonnen. Der Umstieg ging sehr flott. 

Ich stand immer noch mit Beuys in Kontakt, doch ein halbes Jahr später ist er gestorben. Das ist sehr markant für mich gewesen. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, sehr viele Termine und Reisen mit ihm gemacht. Der Einstieg in die Landwirtschaft ist durch ihn sehr stark gefördert worden. Und für mich hatte ich sehr klar, dass ich biologisch-dynamisch arbeiten wollte.

In der Kunst drückt man sich ja sehr stark persönlich aus. Was war dein Bild für dein Tun in der Landwirtschaft?

Für mich war ziemlich früh schon klar, es ist etwas, das auch einen künstlerischen Gesichtspunkt hat, insofern als es etwas Künstliches ist. Es ist nicht Natur, sondern man macht etwas mit den Reichen der Natur, das gar nicht mehr Natur ist - mit Böden, mit Pflanzen, mit Tieren.

Martin von Mackensen und Teilnehmer des Jahreskurses stehen auf dem Feld gebeugt über eine Pflanze
Bildrechte
Landbauschule Dottenfelderhof

Ich habe eigentlich nie Naturschutz angestrebt. Es gibt ja viele Biodynamiker, die mehr aus der Erhaltungs- und Naturschutzecke kamen. Das war bei mir nicht so. Ich hatte kein Interesse für das Erhalten, sondern für das Gestalten. 

Mir war von Anfang an klar, Bodenbearbeitung ist wichtig, Fruchtfolge ist absolut notwendig. Man hat es mit Kulturen und Pflanzen zu tun, die so in der Natur gar nicht vorkommen, die menschenverändert sind. Da muss man ansetzten, das muss man weiter betreiben. 

Als ich richtig in der Praxis war, zum Ende der Lehre, ging es los mit den ersten Fragen „Wie geht denn das eigentlich?“ Ich war ja sofort aus der Lehre heraus in eine Unternehmerverantwortung gegangen – das war eine einmalige Chance – ich habe dadurch sehr früh sehr viel Verantwortung gehabt. Ich war auch sehr eingebunden und konnte nichts anderes machen. Das war aber auch cool. So habe ich mit 28 Jahren schon sechs Jahre Unternehmerverantwortung gehabt und wusste genau, wie so ein Betrieb eigentlich tickt und worauf es ankommt.

Doch dann hatte ich Fragen, wollte das Biodynamische besser verstehen. Dann bin ich mit Erwartungen und ganz klaren Fragen an den Jahreskurs auf dem Dottenfelderhof gekommen. Ich habe gemerkt, dort werden die Fragen nicht nur bearbeitet und beantwortet, sondern es kommen noch ganz andere dazu. Das hat mich sehr stark geprägt, das war schon das zweite prägende Element. 

Mein großes Vorbild war mein Lehrer Ernst Becker, der schon 1946 bis 1958 die Bewirtschaftung auf dem Dottenfelderhof gemacht hat. 1968 war er bei der Betriebsgemeinschaft dabei. Ich hatte das große Glück, in den 90er Jahren mit ihm den Kurs zu machen. Er war auch derjenige, der wollte, dass ich auf dem Dottenfelderhof bleibe. Das wollte ich überhaupt nicht, ich war gar nicht daran interessiert. Es war die Zeit, als sich die neuen Bundesländer öffneten, man konnte große tolle Projekte im Osten machen und ich war auch an mehreren Sachen dran. Das hat sich aber immer alles aus verschiedenen Gründen anders entwickelt. 

So verlängerte ich meine Zeit auf dem Hof immer um ein Jahr. Und dann habe ich am Dottenfelderhof meine Frau kennen gelernt. 1995 habe ich den Entschluss gefasst, mit einzusteigen, auch unternehmerisch Verantwortung zu übernehmen. Es hat ein bisschen gedauert, es war gar nicht so einfach. Ich war zuerst im Ackerbau tätig, dann ging Hals über Kopf der Mensch, der die Tierhaltung, die Milchviehhaltung gemacht hat. Da war klar, dass ich ja Erfahrung hatte und da gefragt war. So bin ich dann ziemlich lange unter oder neben der Kuh gewesen (lacht). 

Teilnehmer des Jahreskurs Dottenfelderhof im Stall
Bildrechte
Landbauschule Dottenfelderhof

Es war dann wieder Ernst Becker, aber auch Dieter Bauer, die mich um die Jahrtausendwende dazu brachten, den Jahreskurs zu übernehmen und mehr zu unterrichten. Da war ich eigentlich noch sehr jung. Das war natürlich eine tolle Sache, da ich alle Inhalte noch einmal intensiv aufbereiten und bearbeiten musste für die Vorbereitung der Kurstätigkeit. Dafür bin ich meinem Schicksal sehr dankbar, dass ich das machen darf. Es ist so toll, mit jungen Leuten Anthroposophie und Biodynamik zu studieren. Dadurch habe ich ganz andere Fragen, als ich sie nur von mir selber hätte. Ich mache das sehr gerne und es ist eine ständige Quelle der Erneuerung und der Vertiefung. 

Hattes du ein Schlüsselerlebnis in der Praxis?

Ja, es gab da verschiedene Momente. Ich habe mich sehr damit beschäftigt, ich habe auch andere Landwirte interviewt. Es gibt Momente, die sind gar nicht so häufig und gar nicht so ganz dauerhaft. 

Es sind Momente, in denen man quasi diese Hofindividualität vor sich, um sich, in sich hat und zu ihr in ein Verhältnis tritt. Die offenbart sich einem plötzlich.

Man hat wirklich einen Eindruck, was das für ein Wesen ist und worauf es hier ankommt. Es klingt abstrakt, aber es ist wirklich so. Das ist wie eine Offenbarung eines Gegenübers auf einer ganz anderen Ebene – die kann man gar nicht so leicht beschreiben. Aber plötzlich ist einem klar, was hier gerade passiert und worauf es ankommt. Und diese Momente können sehr nährend sein. Daraus kann man sehr viel ziehen. 

Wie bist du von deiner praktischen Tätigkeit dann zur Landbauschule gekommen?

Ich war ja selbst Teilnehmer des Jahreskurses der Landbauschule 1990/91. Den Jahreskurs gab es damals schon sechs Jahre vorher, seit 1984. Die Winterkurse gibt es seit 1974. Ich bin dem jetzt auch  noch einmal nachgegangen. Die Landbauschule ging interessanterweise gar nicht nur von Leuten hier am Ort aus, sondern auch von Menschen, die von außen auf die biodynamische Entwicklung geschaut haben. Sie haben gesehen, es muss etwas gemacht werden, damit die jüngeren Leute besser einsteigen können, damit sie eine systematische Ausbildung bekommen. Das war insbesondere die Gruppe um Wilhelm Ernst Barkhoff, Albert Fink, Rolf Kerler. Noch bevor die GLS-Bank gegründet wurde, standen sie mit den Verantwortlichen hier im Austausch: Manfred Klett, Wolfgang Schaumann, Dieter Bauer, Ernst Becker, Johannes Klein, Knud Brandau, Ebba Bauer und so weiter. Sie haben überlegt, da muss doch was geschehen. Es war also ein Ding von außen. Die Satzung des Vereins Landbauschule Dottenfelderhof trägt ganz deutlich die Handschrift von Wilhelm Ernst Barkhoff. 

Zuerst gab es einzelne Kurse, dann wurde es ein Jahreskurs. Als ich die Landbauschule übernahm, merkte ich, da braucht es eine neue Form. Die Leute werden nicht mehr so kommen können, wegen der Finanzierung und der öffentlichen Anerkennung der Kurse. Es war eine neue Zeit, Bio war en Vogue. Ich bin mit mehreren Anläufen daran gegangen zu klären, wie eine Anerkennung, eine Zertifizierung aussehen könnte. Durch ein großes Entgegenkommen und eine große Unterstützung des Landes Hessen haben wir geschafft, dass wir eine staatlich anerkannte Fachschule werden konnten. 

Du arbeitest ja viel mit jungen Menschen zusammen. Was sind Themen, die dich beschäftigen, was würdest du jungen Menschen empfehlen, die ihre Zukunft noch vor sich haben?

Das sind natürlich die schönsten Fragen, das ist das Allerwichtigste. Die Biodynamik wird ja nur dadurch weitergehen, dass Menschen sie ergreifen. Sie werden sie anders ergreifen und dafür muss man ihnen Mut machen: Macht es so, wie ihr es für richtig empfindet und nicht wie es seit hundert Jahren vermeintlich so getan wird. Mit welchem inneren Ansatz, mit welchem inneren Weg gehe ich da rein und wo gehe ich weiter, wo habe ich die Quelle meiner Motivation, woraus schöpfe ich denn?

Die Biodynamische Landwirtschaft versteht das Leben der Welt als einen primär geistigen Prozess. Sobald ich da ein Stück dran komme, kann ich wieder bei mir selber entdecken: Wow, das ist es doch eigentlich, warum ich das mache. Solche Punkte sollte man suchen und pflegen, sie auf eine kleine Notiz runter brechen, so dass man sie sich an seinen Melkstand, an die Stalltür oder in seinen Schlepper hängen kann.

Mir geht es darum, dabei zu helfen, dass man Zugängen gewinnen kann. Dass dieses Feuer, das man mal hatte, nicht erlischt, sondern dass man die Glut wieder anpusten kann.

Dass man weiter forscht, sich Gedanken macht und sich mit dem verbindet, worum es eigentlich geht. 

Wie machst du jungen Menschen Mut, in die Landwirtschaft zu gehen, diesen Beruf zu ergreifen?

Landwirtschaft ist der zentrale Lebensprozess, der uns als Menschheit überhaupt ermöglicht, auf diesem Planeten zu sein. Dieser Lebensprozess, den muss man tiefer, größer verstehen, den muss man empfinden. Und das Wichtigste: Man muss handeln in diesem Lebensprozess. Und dieses Handeln hat immer mit Lebensermöglichen zu tun und gleichzeitig mit Abtöten. Landwirtschaft ist nicht nur schön und nett und lieb, sondern sie hat auch mit Reifen und Absterben zu tun, mit Lebenszyklen. Goethe hat das in das wunderbare Bild gebracht: "Die Natur hat den Tod erfunden, um mehr Leben zu haben." Das muss ich als Landwirt beherzigen. Ich bin ein Gestalter, ich bin jemand, der Lebensprozesse ermöglicht und spezifiziert, und gleichzeitig muss ich sie auch beenden, damit wieder etwas neues kommen kann. 

Da sind so viele Momente drin, in denen wir die spirituellen Dimension der Biodynamik erleben können, wenn wir uns damit verbinden, wirklich da hineinstellen. Wenn man sich ein paarmal im Jahr wirklich darauf einlässt, sich verbindet und handelnd und empfindend anwesend ist, dann kann man daraus so viel ziehen. Man kann so viel klar kriegen: Wie will ich es haben? Welche Gesetzte wirken hier? Wie spezifiziert es sich hier in meinem Betrieb, in meinem Lebenszusammenhang? Wie verdichte ich das, wie verstetige ich das, damit es bis zu den Produkten, die meinen Hof verlassen, präsent bleibt?

Wo siehst du die größten Herausforderungen unserer Zeit?

Och (stöhnt, lacht) Die größte Herausforderung ist es, die Menschen zu haben, die Landwirtschaft machen wollen, die Spaß daran haben, die es zu ihrer Aufgabe machen. Wir stehen ja in der Situation, dass wir Höfe haben, die ergriffen werden können, die übergeben werden wollen, und wir haben oft gar nicht die Menschen, die es können oder machen wollen. Ich glaube, das ist die größte Herausforderung.

Und die zweite Herausforderung ist, dass wir viel radikaler die ganze Marktgeschichte auf den Kopf stellen müssen. Die Meinung, wir könnten zu irgendeinem Marktpreis biologisch-dynamisch arbeiten, das ist verrückt. Das wird nie funktionieren. Es wird immer so viele Kompromisse geben, dass man irgendwann sagt: Das will ich nicht mehr, das kann ich nicht mehr!

Die Alternative ist ganz klar. Wir werden nur da wirklich vernünftig biologisch-dynamische Landwirtschaft machen können, wo Menschen sind, die das wollen. Die nicht Landwirtschaft sind, sondern die sich mit diesem Hof, dieser Produktion, dieser Landwirtschaft verbinden wollen. Es gibt viele Variationen, wie man das im Konkreten organisiert, ob man das in Gemeinschaft macht, ob das Beteiligte sind in einem rechtlichen Rahmen, ob sie ein Jahresabo haben. Da wird es bestimmt auch noch neue Formen geben. Aber ich glaube, das ist der schwierigste und wichtigste Punkt. 

Du hast viele Probleme angesprochen, wo siehst du eine mutmachende Perspektive für dich?

(Lacht) Ich habe total viel Mut. Ich werde von vielen Leuten ja eher als „übermütig“ angesehen. Ich bin nach wie vor begeistert von dem Konzept, wie wir Lebendigkeit, Empfindsamkeit, Qualität verdichten, verorten, verdauern, herunterholen, verfestigen, befestigen – es gibt kein gutes Wort dafür – also in einem gesunden Organismus weiter entwickeln. Den ganzen Prozess stärken, resilienter machen, wie auch immer. Das finde ich nach wie vor eine geniale Sache. 

Und dass das ein Thema der Düngung ist. Dass wir Möglichkeiten und praktische Handhabungen aber auch Einsichten haben in das Thema Düngung, die einfach sehr singulär im Raum stehen, aus denen man noch ganz andere Prozesse für die Landwirtschaft und ganz allgemein noch ganz viel rausholen können wird in Zukunft, das finde ich nach wie vor super begeisternd und toll. Am Ende schöpften wir ja auch alle davon. Das macht mir wahnsinnig Mut. 

Das Interview führte Andrea Schürgers.

Den Text haben wir gekürzt. Das ganze Interview lesen Sie hier:

Wie bist du zu Demeter beziehungsweise zu der biodynamischen Wirtschaftsweise gekommen?

Ich komme nicht aus der Landwirtschaft, hatte aber in der Jugend eine Beziehung zur Landwirtschaft im Hochgebirge, in den Ferien. Mit 14 oder 15 Jahren habe ich Joseph Beuys kennen gelernt. Ich war davon sehr fasziniert und es hat mich sehr geprägt. Während der vierjährigen Baumpflanzaktion im Rahmen der Documenta in Kassel hatte ich viele Kontakte und Gespräche mit Joseph Beuys. Ich dachte, ich sei ja bald fertig mit meiner Werkzeugmacher- und Maschinenschlosserlehre und würde mich jetzt einschreiben zum Studieren – es gab auch Projekte, die mit Metall zu tun hatten. Da kam von Beuys: „Das ist Quatsch, das Studium gibt es so eigentlich gar nicht, das hast du doch schon. Aber du hast doch was mit Landwirtschaft gehabt. Mach das, das ist viel wichtiger!“

Das hat mich erst einmal etwas enttäuscht und zurückgeworfen. Da ich aber in Kassel eine junge Betriebsgemeinschaft gut kannte und dort auch immer mal geholfen habe, war es nicht schwierig, diesen Schritt zu machen. Also habe ich direkt an dem Tag, als ich mit der Maschinenschlosser- und Werkzeugmacher-Lehre fertig war, meine landwirtschaftliche Lehre begonnen. Der Umstieg ging sehr flott. 

Ich stand immer noch mit Beuys in Kontakt, doch ein halbes Jahr später ist er gestorben. Das ist sehr markant für mich gewesen. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, sehr viele Termine und Reisen mit ihm gemacht. Der Einstieg in die Landwirtschaft ist durch ihn sehr stark gefördert worden. Und für mich hatte ich sehr klar, dass ich biologisch-dynamisch arbeiten wollte.

 

In der Kunst drückt man sich ja sehr stark persönlich aus. Was war dein Bild für dein Tun in der Landwirtschaft?

Für mich war ziemlich früh schon klar, es ist etwas, das auch einen künstlerischen Gesichtspunkt hat, insofern als es etwas Künstliches ist. Es ist nicht Natur, sondern man macht etwas mit den Reichen der Natur, das gar nicht mehr Natur ist - mit Böden, mit Pflanzen, mit Tieren.

Ich habe eigentlich nie Naturschutz angestrebt. Es gibt ja viele Biodynamiker, die mehr aus der Erhaltungs- und Naturschutzecke kamen. Das war bei mir nicht so. Ich hatte kein Interesse für das Erhalten, sondern für das Gestalten. 

Mir war von Anfang an klar, Bodenbearbeitung ist wichtig, Fruchtfolge ist absolut notwendig. Man hat es mit Kulturen und Pflanzen zu tun, die so in der Natur gar nicht vorkommen, die menschenverändert sind. Da muss man ansetzten, das muss man weiter betreiben. 

Als ich richtig in der Praxis war, zum Ende der Lehre, ging es los mit den ersten Fragen „Wie geht denn das eigentlich?“ Ich war ja sofort aus der Lehre heraus in eine Unternehmerverantwortung gegangen – das war eine einmalige Chance – ich habe dadurch sehr früh sehr viel Verantwortung gehabt. Ich war auch sehr eingebunden und konnte nichts anderes machen. Das war aber auch cool. So habe ich mit 28 Jahren schon sechs Jahre Unternehmerverantwortung gehabt und wusste genau, wie so ein Betrieb eigentlich tickt und worauf es ankommt.

Doch dann hatte ich Fragen, wollte das Biodynamische besser verstehen. Dann bin ich mit Erwartungen und ganz klaren Fragen an den Jahreskurs auf dem Dottenfelderhof gekommen. Ich habe gemerkt, dort werden die Fragen nicht nur bearbeitet und beantwortet, sondern es kommen noch ganz andere dazu. Das hat mich sehr stark geprägt, das war schon das zweite prägende Element. 

Mein großes Vorbild war mein Lehrer Ernst Becker, der schon 1946 bis 1958 die Bewirtschaftung auf dem Dottenfelderhof gemacht hat. 1968 war er bei der Betriebsgemeinschaft dabei. Ich hatte das große Glück, in den 90er Jahren mit ihm den Kurs zu machen. Er war auch derjenige, der wollte, dass ich auf dem Dottenfelderhof bleibe. Das wollte ich überhaupt nicht, ich war gar nicht daran interessiert. Es war die Zeit, als sich die neuen Bundesländer öffneten, man konnte große tolle Projekte im Osten machen und ich war auch an mehreren Sachen dran. Das hat sich aber immer alles aus verschiedenen Gründen anders entwickelt. 

So verlängerte ich meine Zeit auf dem Hof immer um ein Jahr. Und dann habe ich am Dottenfelderhof meine Frau kennen gelernt. 1995 habe ich den Entschluss gefasst, mit einzusteigen, auch unternehmerisch Verantwortung zu übernehmen. Es hat ein bisschen gedauert, es war gar nicht so einfach. Ich war zuerst im Ackerbau tätig, dann ging Hals über Kopf der Mensch, der die Tierhaltung, die Milchviehhaltung gemacht hat. Da war klar, dass ich ja Erfahrung hatte und da gefragt war. So bin ich dann ziemlich lange unter oder neben der Kuh gewesen (lacht). 

Es war dann wieder Ernst Becker, aber auch Dieter Bauer, die mich um die Jahrtausendwende dazu brachten, den Jahreskurs zu übernehmen und mehr zu unterrichten. Da war ich eigentlich noch sehr jung. Das war natürlich eine tolle Sache, da ich alle Inhalte noch einmal intensiv aufbereiten und bearbeiten musste für die Vorbereitung der Kurstätigkeit. Dafür bin ich meinem Schicksal sehr dankbar, dass ich das machen darf. Es ist so toll, mit jungen Leuten Anthroposophie und Biodynamik zu studieren. Dadurch habe ich ganz andere Fragen, als ich sie nur von mir selber hätte. Ich mache das sehr gerne und es ist eine ständige Quelle der Erneuerung und der Vertiefung. 

 

Hattes du ein Schlüsselerlebnis in der Praxis? 

Ja, es gab da verschiedene Momente. Ich habe mich sehr damit beschäftigt, ich habe auch andere Landwirte interviewt. Es gibt Momente, die sind gar nicht so häufig und gar nicht so ganz dauerhaft. Es sind Momente, in denen man quasi diese Hofindividualität vor sich, um sich, in sich hat und zu ihr in ein Verhältnis tritt. Die offenbart sich einem plötzlich. Man hat wirklich einen Eindruck, was das für ein Wesen ist und worauf es hier ankommt. Es klingt abstrakt, aber es ist wirklich so. Das ist wie eine Offenbarung eines Gegenübers auf einer ganz anderen Ebene – die kann man gar nicht so leicht beschreiben. Aber plötzlich ist einem klar, was hier gerade passiert und worauf es ankommt. Und diese Momente können sehr nährend sein. Daraus kann man sehr viel ziehen. 

Der landwirtschaftliche Alltag ist ja eine Herausforderung, man muss ständig organisieren, man muss ständig etwas Neues machen, man muss sich ständig auf äußeren Druck und äußere Anforderungen einlassen, die eigentlich gar nichts mit der Lust, die man in sich hat für diese Arbeit, zu tun haben. Aber dann muss man das ja immer mal wieder finden und pflegen, um das überhaupt machen zu können auf Dauer. Dieser Zugang zu dem, was eigentlich einmal wie ein Stern in einem aufgetaucht ist: dafür will ich leben, kämpfen, tun, aktiv sein. Da ist es noch wie ein Zukunftsstern, da leuchtet etwas, man taucht ein, taucht unter, ist auch irgendwie gefangen, in dem, was passiert und noch passieren muss. Und dann gibt es diese tollen Momente, wo man plötzlich oft ganz unverhofft erlebt: Hoppla, Moment, ja so ist das doch eigentlich, so hängt das miteinander zusammen, das muss ich stärken, das ist das Entscheidende, damit werde ich Fortschritte erreichen. Für den einen ist das eine andere Sorte, für den anderen ist das die Entscheidung, ich muss da züchterisch dran gehen, für den nächsten ist es eine andere Bodenbearbeitung, für den nächsten ist es ein Gestaltung der Fruchtfolge oder eine Gestaltung der Landschaft. Es kann auch vieles zusammen sein. Es ist wie an einem tiefen inneren Punkt, dass man wie eine innere Identität, eine Schwingung zu diesem Wesen erhält. Man ist sich auf einmal Gewiss, was eigentlich für die Zukunft dieses Hofes, dieses Betriebes, dieser individuellen Landwirtschaft notwendig ist. Also ich will sagen, es gibt kein einzelnes Erlebnis, ich habe nicht plötzlich gesehen, ein Präparat macht dies oder jenes, sondern es ist tatsächlich die Begegnung mit der gesamten Hofindividualität gewesen, die mir immer wieder Sicherheit gegeben hat, die mich immer wieder voran gebracht hat. Wo ich ganz klar gesehen habe, darauf kommt es an.

 

Wie bist du von deiner praktischen Tätigkeit dann zur Landbauschule gekommen?

Ich war ja selbst Teilnehmer des Jahreskurses der Landbauschule 1990/91. Den Jahreskurs gab es damals schon sechs Jahre vorher, seit 1984. Die Winterkurse gibt es seit 1974. Ich bin dem jetzt auch  noch einmal nachgegangen. Die Landbauschule ging interessanterweise gar nicht nur von Leuten hier am Ort aus, sondern auch von Menschen, die von außen auf die biodynamische Entwicklung geschaut haben. Sie haben gesehen, es muss etwas gemacht werden, damit die jüngeren Leute besser einsteigen können, damit sie eine systematische Ausbildung bekommen. Das war insbesondere die Gruppe um Wilhelm Ernst Barkhoff, Albert Fink, Rolf Kerler. Noch bevor die GLS-Bank gegründet wurde, standen sie mit den Verantwortlichen hier im Austausch: Manfred Klett, Wolfgang Schaumann, Dieter Bauer, Ernst Becker, Johannes Klein, Knut Brandau, Ebba Bauer und so weiter. Sie haben überlegt, da muss doch was geschehen. Es war also ein Ding von außen. Die Satzung des Vereins Landbauschule Dottenfelderhof trägt ganz deutlich die Handschrift von Wilhelm Ernst Barkhoff. 

Zuerst gab es einzelne Kurse, dann wurde es ein Jahreskurs. Als ich die Landbauschule übernahm, merkte ich, da braucht es eine neue Form. Die Leute werden nicht mehr so kommen können, wegen der Finanzierung und der öffentlichen Anerkennung der Kurse. Es war eine neue Zeit, Bio war en Vogue. Ich bin mit mehreren Anläufen daran gegangen zu klären, wie eine Anerkennung, eine Zertifizierung aussehen könnte. Durch ein großes Entgegenkommen und eine große Unterstützung des Landes Hessen haben wir geschafft, dass wir eine staatlich anerkannte Fachschule werden konnten. 

 

Du arbeitest ja viel mit jungen Menschen zusammen. Was sind Themen, die dich beschäftigen, was würdest du jungen Menschen empfehlen, die ihre Zukunft noch vor sich haben?

Das sind natürlich die schönsten Fragen, das ist das Allerwichtigste. Die Biodynamik wird ja nur dadurch weitergehen, dass Menschen sie ergreifen. Sie werden sie anders ergreifen und dafür muss man ihnen Mut machen: Macht es so, wie ihr es für richtig empfindet und nicht wie es seit hundert Jahren vermeintlich so getan wird. Mit welchem inneren Ansatz, mit welchem inneren Weg gehe ich da rein und wo gehe ich weiter, wo habe ich die Quelle meiner Motivation, woraus schöpfe ich denn? 

Denn wie alle Tätigkeiten aus der Anthroposophie heraus ist das eine riesige Herausforderung. Es ist eine gigantische Herausforderung, neben dem Alltag etwas zu pflegen, das einem diese Verbindung, diesen Zugang ermöglicht. Man muss daran arbeiten. Wenn man denkt, man hat den Zugang einmal und macht 30 Jahre seinen Betrieb, das kann man vergessen. Spätestens nach drei, vier Jahren fragt man sich, warum mache ich das eigentlich noch? Nach vier, fünf Jahren fühlt man, ich habe eigentlich gar keinen Zugang mehr und nach fünf, sechs Jahren sagt man dann endgültig, also ich mach da auch nichts mehr, was soll das eigentlich? 

Ich glaube, das ist auch den jungen Leuten ganz deutlich, man braucht einen eigenen Zugang, einen eigenen Weg, eine eigene Motivation. Wer meint, Biodynamik sei eine Richtlinienlandwirtschaft, der irrt sich. Das mag ein Außenblick sein für den Kunden. Doch die eigentliche Biodynamik, der Motor der Entwicklung, das sind die Landwirt:innen und Gärtner:innen und deren innere Verbindung zu dem, worum es da geht. Denn „diese Landwirtschaft“, die gibt es ja gar nicht, sondern sie ist immer wieder neu am Entstehen. Sie ist auch nie irgendwo 100 Prozent Wirklichkeit geworden  und es wird auch noch viele Jahre dauern, in denen wir das immer mehr realisieren können. Wir machen schon ein paar Prozent, 10, 20, vielleicht mal 25 Prozent - aber da gibt es noch ganz viel zu entwickeln, das kann noch ganz große Weiterungen erfahren. Das wird man nur erreichen, wenn man innerlich den Zugang hat zu der Quelle. Den muss man sehr persönlich, sehr souverän, sehr unabhängig finden. 

Man darf sich aber auch nicht erschlagen lassen. Was wir da alles so studieren können, wovon wir uns alles begeistern lassen und was wir empfinden können, das kann einen schnell auch überfordern. Entscheidend ist das einzelne Kleine, was ich für mich pflege und wo ich sage „hey wow, jetzt weiß ich wieder, warum ich das alles mache“. Und das kann man manchmal in drei Minuten an einem Blatt haben, was einem plötzlich von der Hecke in den Schlepper gefallen ist. Da fragt man sich, was passiert eigentlich, wenn hier ein Busch, ein Strauch wächst und wenn da so ein Blatt abreißt? Was für Kräfte wirken hier ein? Und dann hat man wieder den Blick, ich gucke auf die Natur als etwas, das nicht nur die Entfaltung ist nach irgendeiner Genetik, sondern in der Kräfte wirken. Und diese Kräfte kann ich klarer fassen. Da gibt es welche, die quellen von innen, und da gibt es welche, die gestalten von außen, und damit kann ich vielleicht andocken an etwas, womit ich mich früher mal länger beschäftigt habe, wo ich mal wieder genauer hingucke. Dann weiß ich wieder, das nährt mich, dieser Zugang ist der, der mich umtreibt. Das passiert auch in der Begegnung mit einem Tier oder dem Boden. Dann sieht man, das ist doch ein Gleichgewicht, in dem Aufbau möglich ist. Wie geht das, was spielt alles eine Rolle. Ich bin dran an dem, was eigentlich - wie könnte man sagen - die Realisierung, die Wirklichkeitswerdung von etwas Geistigem ist. 

Die Biodynamische Landwirtschaft versteht das Leben der Welt als einen primär geistigen Prozess. Sobald ich da ein Stück dran komme, kann ich wieder bei mir selber entdecken: Wow, das ist es doch eigentlich, warum ich das mache. Solche Punkte sollte man suchen und pflegen, sie auf eine kleine Notiz runter brechen, so dass man sie sich an seinen Melkstand, an die Stalltür oder in seinen Schlepper hängen kann. Mir geht es darum, dabei zu helfen, dass man Zugängen gewinnen kann. Dass dieses Feuer, das man mal hatte, nicht erlischt, sondern dass man die Glut wieder anpusten kann. Dass man weiter forscht, sich Gedanken macht und sich mit dem verbindet, worum es eigentlich geht. 

Das wirkt sich bei jedem anders aus. Der Eine kommt mit seinen sozialen Fragen und Prozessen wieder besser zurecht, der Nächste hat die technische Planung und seinen betrieblichen Alltag besser in den Griff. 

 

Wie machst du jungen Menschen Mut, in die Landwirtschaft zu gehen, diesen Beruf zu ergreifen? 

Landwirtschaft ist der zentrale Lebensprozess, der uns als Menschheit überhaupt ermöglicht, auf diesem Planeten zu sein. Dieser Lebensprozess, den muss man tiefer, größer verstehen, den muss man empfinden. Und das Wichtigste: Man muss handeln in diesem Lebensprozess. Und dieses Handeln hat immer mit Lebensermöglichen zu tun und gleichzeitig mit Abtöten. Landwirtschaft ist nicht nur schön und nett und lieb, sondern sie hat auch mit Reifen und Absterben zu tun, mit Lebenszyklen. Goethe hat das in das wunderbare Bild gebracht: "Die Natur hat den Tod erfunden, um mehr Leben zu haben". Das muss ich als Landwirt beherzigen. Ich bin ein Gestalter, ich bin jemand, der Lebensprozesse ermöglicht und spezifiziert, und gleichzeitig muss ich sie auch beenden, damit wieder etwas neues kommen kann. 

Da sind so viele Momente drin, in denen wir die spirituellen Dimension der Biodynamik erleben können, wenn wir uns damit verbinden, wirklich da hineinstellen. Wenn man sich ein paarmal im Jahr wirklich darauf einlässt, sich verbindet und handelnd und empfindend anwesend ist, dann kann man daraus so viel ziehen. Man kann so viel klar kriegen: Wie will ich es haben? Welche Gesetze wirken hier? Wie spezifiziert es sich hier in meinem Betrieb, in meinem Lebenszusammenhang? Wie verdichte ich das, wie verstetige ich das, damit es bis zu den Produkten, die meinen Hof verlassen, präsent bleibt?

Die Produkte zeugen ja von diesem Wunder, dass wir einen Standort, der als Naturstandort wunderschön wäre, aber eigentlich kaum einen Ertrag ermöglichen würde, dass wir den so verwandeln, dass wir diese unglaublichen Mengen an Nahrungsmitteln aus diesen Höfen, aus diesen Organismen, herausziehen und Menschen damit versorgen können - und es gleichzeitig schaffen, sogar die Fruchtbarkeit zu mehren und zu steigern. Das ist ja schon eine supercoole Sache, das muss man sich immer mal wieder klar machen, wie abgefahren das eigentlich ist, was wir da versuchen und weitgehend ja auch hinkriegen. 

Daran kann man merken, wie zentral diese Aufgabe ist. Man kann dankbar sein, etwas so Essentielles für die ganze Kultur machen zu können. Und man gibt den Produkten auch etwas mit, als Untergrund, als Hintergrund, als Kraft, die darin wirkt. Wir wissen sehr genau als Biodynamiker, als Verband: Die Qualität unserer Produkte erzählt auch von den Vögeln, die da drüber geflogen sind und gesungen haben und die erzählt auch von der Harmonie der Bodenprozesse und die erzählt auch von unserer Motivation.

 

Wo siehst du die größten Herausforderungen unserer Zeit?

Och (stöhnt, lacht) Die größte Herausforderung ist es, die Menschen zu haben, die Landwirtschaft machen wollen, die Spaß daran haben, die es zu ihrer Aufgabe machen. Wir stehen ja in der Situation, dass wir Höfe haben, die ergriffen werden können, die übergeben werden wollen, und wir haben oft gar nicht die Menschen, die es können oder machen wollen. Ich glaube, das ist die größte Herausforderung.

Und die zweite Herausforderung ist, dass wir viel radikaler die ganze Marktgeschichte auf den Kopf stellen müssen. Die Meinung, wir könnten zu irgendeinem Marktpreis biologisch-dynamisch arbeiten, das ist verrückt. Das wird nie funktionieren. Es wird immer so viele Kompromisse geben, dass man irgendwann sagt: Das will ich nicht mehr, das kann ich nicht mehr!

Die Alternative ist ganz klar. Wir werden nur da wirklich vernünftig biologisch-dynamische Landwirtschaft machen können, wo Menschen sind, die das wollen. Die nicht Landwirtschaft sind, sondern die sich mit diesem Hof, dieser Produktion, dieser Landwirtschaft verbinden wollen. Es gibt viele Variationen, wie man das im Konkreten organisiert, ob man das in Gemeinschaft macht, ob das Beteiligte sind in einem rechtlichen Rahmen, ob sie ein Jahresabo haben. Da wird es bestimmt auch noch neue Formen geben. Aber ich glaube, das ist der schwierigste und wichtigste Punkt. 

 

Was ist dein Wunsch an den Verband? 

Dem biodynamischen Impuls zu dienen, das ist seine Aufgabe. Der biodynamische Impuls realisiert sich auf dem Acker und im Stall und auf der Wiese und an der Hecke und auf dem Kompostplatz eines biodynamischen Betriebes. Der Rest ist Unterstützung und Hinhören und nicht sagen, wie es geht und wie es zu verstehen ist. Da hat sich etwas völlig verdreht. 

Das ist sicher auch verstehbar und kritisiert niemanden persönlich. Die Landwirte und Gärtner sind nicht so gut in Verbandsarbeit, die muss man mehr hören, auf die muss man sich mehr einlassen. 

Und man muss die Frage stellen: Wie kann das überhaupt Zukunft haben? 

Ich finde es auch gut, wenn man sich abgrenzt. Seit den 80er Jahren haben wir gesagt, wir sind Teil der Ökobewegung, das sind unsere Kollegen und unserer Partner. Und gleichzeig bringt es jetzt ökonomisch echte Probleme, weil wir es nicht gut kommunizieren und weil wir uns nicht abgrenzen wollen. Das wird immer mehr für die Betriebe entweder das ökonomische Aus bedeuten oder die totale Verwässerung. Der biodynamische Impuls wird dann immer flacher und marginaler. 

Das ist eigentlich die viel schrecklichere Weise, weil sie persönlich sehr leidvoll ist. Wenn man merkt, das war mir alles mal wichtig und Stück für Stück ist das immer weniger geworden. Und irgendwie kämpfe ich mir immer noch einen ab, dass dieser Betrieb irgendwie weiter geht. Aber das Ganze, wofür ich es eigentlich mache, fällt mehr und mehr hinten runter. Das ist eigentlich viel furchtbarer als wenn man sagt, es braucht keiner mehr, es scheint so nicht mehr gewollt zu sein und tschüss und ich kann etwas anderes machen. 

Solche Fragen müssen wir uns auch stellen. 100 Jahre ist ja nicht nur ein Anlass zum Feiern, sondern wir müssen ja mal ernst und ehrlich gucken, es gibt massive Veränderungsbedürfnisse aus der Zeit und aus der Sache heraus. Ich würde mir mehr Ehrlichkeit und Sinn für die Realität und auch mehr Radikalität im Handeln wünschen. 

 

Auf welcher Seite mehr Radikalität im Handeln? 

Auf beiden Seiten. Also sowohl bei denjenigen, die sich mehr und mehr anpassen, und die sich irgendwann mal fragen, warum sie das überhaupt noch machen. Die merken: Das, wofür ich es machen wollte, das kann ich zu 90 Prozent gar nicht mehr realisieren, da sind ja nur noch fünf oder zehn Prozent davon übrig geblieben. Dass die dann auch wirklich sagen: STOPP, irgendwas muss ich ganz anders machen. 

Genauso bei denjenigen, die die Produkte vermarkten, die helfen, die Produkte in der Gesellschaft zu platzieren. Der Verband ist ja eigentlich nur die Dienstleistungsorganisation der Landwirte und Gärtner selber. Die müssen ja eigentlich sagen, was nötig ist. 

An bestimmten Stellen ist Kuschelkurs auch nicht das Weiterführende. Wir müssen schauen, was uns wirklich hilft. Ich will auch sagen, wir sind in sehr ernsten Zeiten für diesen Impuls. Und wenn ich sehe, was in manchen Hoforganismen passiert, wo einfach tolle Sachen gemacht werden, die ein Stück weiter gehen, dann sind das oft Betriebe, die gar nicht in einem Verband sind, wo man von außen auch gar nicht sieht, dass das biodynamisch ist. 

Da trennt sich auch was. Das ist auch schon ein bisschen dramatisch. Dass wir diesen Impuls als Ganzes gar nicht so richtig fassen, weil wir eine gewisse Vereinseitigung haben, in dem, wie der Verband so läuft. 

 

Verarbeitung und Handel gehört ja auch zum Verband – hättest du in diese Richtung einen Wunsch? 

Das ist ja super schwierig, weil man immer in diesem Spannungsfeld steht, dass bestimmte Verarbeitungspraktiken heute gängig sind, dass sie im Biolandbau längst Usus sind. Wie weit geht man? Es ist immer die gleiche blöde Bewegung: Man hat bestimmte Mengen, man hat bestimmte Techniken, wo man sagt, damit müssen wir konkurrieren, da müssen wir mithalten. Immer hängt man in dieser Schleife und kommt so selten zu der Frage: Warum? Mach ich diese Verarbeitung jetzt nur, damit ich das Produkt los werde? Mach ich es nur, damit diese Qualität, die mal in dem Produkt war, auch weiter geht oder habe ich da auch eigene Gesichtspunkte? Wir wirtschaften in diesem Zusammenhang zwischen einem Großhändler, zwischen einem Einzelhändler, zwischen einem Kunden und auf der anderen Seite der Landwirtschaft. 

Das ist jetzt sehr konventionell geworden. Da ist das Produkt ein Rohstoff geworden, da ist viel von dem verloren gegangen, von dem, um was es eigentlich geht. Es geht nicht nur darum, Rohstoffe am Markt zu platzieren, zu einem günstigen Verfahren und einem gut konkurrierbaren Preis, sondern es geht darum, einem neuen Landwirtschaftsimpuls dienlich zu sein und zu gucken, wie diese Dinge den Weg finden zum Mund…(schmunzelt) …der sagt, ich will das auch! 

Das muss nicht besonders schön verpackt sein oder nicht äußerlich glänzend, sondern es muss von innen heraus eine Logik geben, die dem Kunden sagt, das will ich auch. Da merkt man immer mehr, dass das über die konventionelle Vermarktung gar nicht so gut funktioniert. 

Das ist ja auch einer der Gründe, warum es im Weinbau so toll läuft. Bei den besseren Weinen hat man ja nicht einen bestimmten Wein im Auge, sondern ein Weingut. Man weiß, ein Silvaner oder ein Riesling von dort und dort, der ist es für mich. Damit guckt man über die gesamte Handelsschiene hinweg, ob man den jetzt per Internet bestellt, ob er in einem Laden steht oder ob ich ihn im Weingut hole, das ist eigentlich egal. Ich habe als Kunde den Blick über all das hinweg, bis dahin, wo es entsteht, nämlich im Weinberg und Keller dieses Menschen oder dieses Betriebes. Das fehlt uns, da müssen wir echt mehr dran arbeiten. Das haben wir zu stark verloren und das dürfen wir nicht konventionell machen, nach dem Motto: Ja, das machen wir jetzt mit Gesicht. Und dann ist da ein Gesicht von irgendjemandem, dem man noch ein Zitat in den Mund steckt. Das hängt dann fünf Jahre in irgendeinem Supermarkt, in irgendeiner großen Stadt, in 3 x 4 Meter. So war das alles die letzten Jahre. Das muss irgendwie ganz neu erfunden werden. 

Es ist interessant, dass dieser Boom der solidarischen Landwirtschaft dort ist, wo die Menschen ernsthaft kapieren: Bei dieser Art der Landwirtschaft nutzt es nur bedingt etwas, wenn ich heute das Möhrchen oder diesen Salat kaufe, sondern eigentlich brauchen die ja ne  gewisse Sicherheit. Und ich müsste mich mal länger darauf einlassen. Für mich ist das auch eine bestimmte Lebensqualität, wenn ich mich mit einem bestimmten Hof mal mindestens für das nächste Jahr verbinde. 

Die ganze SoLaWi ist ja am Verband vorbei gelaufen, da hat sich der Verband gar nicht drum gekümmert. Die Betriebe müssen auch gar nicht Verbandsmitglied sein, die Kunden verstehen das auch so. Das ist doch der Weg, der unseren Produkten viel mehr entspricht und zu ihnen passt als diese konventionelle Vermarktung, die wir haben. Die führt eben dann dazu, dass die guten biodynamischen Betriebe, die auf 100, 200 ha Getreidebau aufmachen, ne Viehhaltung haben, dann plötzlich eine Ernte auf dem Speicher haben und wirtschaftlich vor dem Aus stehen, während andere irgendwie geschickt ihr Zeug günstig platziert haben. Da kann man ja heulen. Wenn du sehen würdest, welche Betriebe das hier sind, z.B. in den neuen Bundesländern. Wie kann es eigentlich sein, dass das im Verband gar kein Thema ist? Das ist mir bisher gar nicht begegnet, dass jemand im Verband sagt: Hey, wir müssen da was machen, das kann doch nicht sein. Können wir das mal genau durchleuchten? Dann sagen einige Bauern, das Demeter-Getreide kommt jetzt aus Frankreich, Ungarn oder Australien. Und du denkst, stimmt das jetzt eigentlich? Wer hat das geprüft? Wo kann man das mal schnell faktisch klar kriegen? Dafür haben wir gar nicht die Strukturen. Das ist eigentlich alles ziemlich konventionell. Das ist eigentlich regelrecht peinlich. Da müssen wir echt besser werden! 

Das ist ja auch nicht ein Betrieb, sondern das sind im Moment viele Betriebe, die an dieser Stelle stehen. Und wir feiern so eine Party 100 Jahre, das passt irgendwie nicht zusammen.

 

Du hast viele Probleme angesprochen, wo siehst du eine mutmachende Perspektive für dich?

(Lacht) Ich habe total viel Mut. Ich werde von vielen Leuten ja eher als „übermütig“ angesehen. Ich bin nach wie vor begeistert von dem Konzept, wie wir Lebendigkeit, Empfindsamkeit, Qualität verdichten, verorten, verdauern, herunterholen, verfestigen, befestigen – es gibt kein gutes Wort dafür – also in einem gesunden Organismus weiter entwickeln. Den ganzen Prozess stärken, resilienter machen, wie auch immer. Das finde ich nach wie vor eine geniale Sache. 

Und dass das ein Thema der Düngung ist. Dass wir Möglichkeiten und praktische Handhabungen aber auch Einsichten haben in das Thema Düngung, die einfach sehr singulär im Raum stehen, aus denen man noch ganz andere Prozesse für die Landwirtschaft und ganz allgemein noch ganz viel rausholen können wird in Zukunft, das finde ich nach wie vor super begeisternd und toll. Am Ende schöpften wir ja auch alle davon. Das macht mir wahnsinnig Mut. 

Wenn man sieht, was alles möglich ist. In den 70er Jahren wurde für so einen Betrieb hier gesagt „Die machen jetzt ohne Dünger, stellt euch das mal vor. Na ja, die düngen halt nachts, das sieht man dann nicht.“ Man hat gesagt, die werden keinen Erfolg haben, denn die Erträge werden zurück gehen. Nein, die Erträge sind mehr geworden, die Gesundheitsfragen sind besser geworden, das System, das Gesamtpaket Biodynamik, mit Züchtung im Hof, mit gescheiter Fruchtfolge mit, mit, mit…ist eine Aufwärtsspirale. Das begeistert mich nach wie vor. 

Das ist so quergebürstet. Wenn man sich so überlegt, wer hätte in den 60er, 70er und 80er Jahren nicht alles gerne gesehen, dass dieses Konzept niemals öffentlich geworden wäre (lacht). Wie wir David gegen Goliath waren und wie groß mittlerweile das Wissen ist, es geht anders. Das finde ich richtig cool!

Da muss man gar nicht nur die Demeter-Betriebe anschauen. Ob man heute die Kommunalkompostierung anschaut, ob man, ob man, ob man…. Es gibt so viele Dinge, die aus der Biodynamik gewachsen sind. Man kann nachweisen, dass der ganze Ansatz des Naturschutzes sich so viel aus der Biodynamik speist, dass man sich einfach nur freuen kann. 

Es ist nicht nur für den einzelnen biodynamischen Hof oder für die Idee der biodynamischen Landwirtschaft toll, sondern es ist für die ganze Gesellschaft eine riesige Nummer.

Es ist auch eine riesige Herausforderung, denn wir müssen uns ändern, wir müssen nächste Schritte machen, sonst werden wir uninteressant. Dann landen wir in einer Nische, die dann irgendwann auch sehr klein wird und sehr speziell. 

Wenn von uns wirklich weiter Impulse für eine gesündere Welt, für eine bessere Landwirtschaft ausgehen sollen – und da ist genügend - dann müssen wir uns wirklich anders aufstellen. 

Pioniere im Film

2018 feierte der Dottenfelderhof sein 50-jähirges Jubiläum. Zu diesem Anlass sprach Michael Olbrich-Majer auf dem Podium mit Dieter Bauer, Ebba Bauer, Knud Brandau und Dr. Manfred Klett.

Hier geht es zum Podiumsgespräch

Schlagworte

100 Jahre